Im Kanzleramt: Tagebuch der Jahre mit Willy Brandt. Januar 1973 - Mai 1974Klaus Harpprecht
Gebundene Ausgabe
Als Willy Brandt 1974 über die Affäre Guillaume stolperte, war dies das unrühmliche Ende eines charismatischen Kanzlers. Die letzten anderthalb Jahre der Amtszeit dieses Regierungschefs begleitete Klaus Harpprecht von einem Büro im Palais Schaumburg aus. Dort arbeitete der Journalist als Redenschreiber für Brandt und hatte nicht zuletzt durch seine räumliche Nähe zum Kanzler viele Einblicke in das politische Alltagsgeschäft. In dieser Zeit verfasste Harpprecht aber nicht nur Reden, er schrieb auch Tagebuch. 26 Jahre danach entschloss er sich, diese Aufzeichnungen zu veröffentlichen - eigentlich jedoch zu spät, ist inzwischen doch alles wichtige über jene Zeit gesagt und geschrieben worden. Harpprecht berichtet in seinen im Originaltext wiedergegebenen und unkommentierten Tagebucheinträgen über eine kurze Phase westdeutscher Politik, er reflektiert über die Entscheidungsprozesse, innerparteiliche Spannungen und die beteiligten Personen. Sein Hauptaugenmerk gilt natürlich Brandt, mit dem Harpprecht eine Freundschaft verband, die man seinem Buch auch anmerkt. Daneben absolvieren unzählige Politiker aus dem In- wie Ausland Auftritte im Tagebuch. Doch obwohl Harpprecht nach eigenem Bekunden "bei einigen überlangen Passagen den Rotstift ansetzte", ist das Buch immer noch zu ausführlich. Runde 550 Seiten an oft telegrammartigen Tagebuchvermerken sind weit mehr als notwendig gewesen wären, um die Atmosphäre jener Tage zu vermitteln. Viele Nebensächlichkeit hätten durchaus noch dem Rotstift begegnen dürfen. Denn so wird Harpprechts Ansinnen, eine Stimmungslage zu skizzieren, unnötig ausgewalzt. Sein Buch gewährt zwar Inneneinsichten in die Regierungsarbeit, dass aber gerade die Zeit der Enttarnung des Ost-Spions Guillaume mangels originaler Tagebuchvermerke nur im Rückblick betrachtet wird, verstärkt den zwiespältigen Eindruck, den dieser Band hervorruft. -Joachim Hohwieler
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