Die Bildungs-Hochstapler: Warum unsere Lehrpläne um 90% gekürzt werden müssenThomas Städtler
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" Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir" . . . oder am Ende doch nur für die Katz'? So, wie an deutschen Schulen gelehrt wird, schon! Das behauptet jedenfalls der Diplompsychologe, Berater und Autor Thomas Städtler und leitet damit eine neue Runde in der Debatte um den Wert des Schulwissens ein. Städtlers Formulierungen haben es in sich: " Wenn unser Gesundheitssystem auf ähnliche Weise wie das Bildungssystem versagen würde, dann wäre es normal, [. . . ] dass die Lebenserwartung bei 45 läge [. . . ]. " Ebenso eindringlich wie ausführlich zeigt er auf, dass die deutschen Lehrpläne so sehr mit "höherer" Bildung aufgebläht sind, dass die eigentliche Mission - nämlich dauerhaft verinnerlichtes, anwendbares Grundlagenwissen zu vermitteln - fast völlig auf der Strecke bleibt. Fürs spätere Leben jedenfalls sei das seit Jahrzehnten kaum angetastete Lehrplanwissen nur marginal von Bedeutung. Seine Analyse ist profund und demonstriert, dass Städtler das deutsche Schulsystem tatsächlich von innen heraus zu beurteilen vermag. Dabei sind seine Erkenntnisse sicher nicht ganz neu - wohl aber sein Lösungsvorschlag: In der Schulbildung ist weniger mehr, so seine These, und die Forderung lautet: eine Reduktion der Lehrpläne um mindestens(!) 90 Prozent! Diese werde nicht etwa zu einem Einbruch, sondern vielmehr zu einem steilen Anstieg der Bildungsstandards führen - weil ein schneller Lernfortschritt nur möglich sei, wenn Schüler die Grundlagen wirklich beherrschen. Der Autor fordert deshalb nicht weniger als ein garantiertes, länderübergreifendes " Bildungsminimum" als Bestandteil der bundesdeutschen Verfassung. Dass die Verantwortlichen anderer Länder schon länger den Weg aus der Sackgasse eines selbstreferenziellen und realitätsfernen Schulsystems suchen und zum Teil gefunden haben, ist ein weiteres Indiz dafür, dass Thomas Städtler zu Recht die " Bildungs-Hochstapler" hierzulande aufs Korn nimmt. Sein Buch ist eine produktive Provokation, und die Lektüre lohnt allemal - auch wenn man sich die eine oder andere Kürzung des Textes durchaus hätte vorstellen können. Bei besonders detailgenauen Passagen empfiehlt sich ein Verfahren, das die meisten Leser aus ihrer Schulzeit noch kennen dürften: der Mut zur Lücke. - Gerd König, Literaturtest
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