Das Dritte Reich und die Juden, Bd.1, Die Jahre der Verfolgung 1933-1939Saul Friedländer
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Das Dritte Reich ist nicht als Funktion allein der Person Hitlers, sondern vielmehr als Sozialpathologie einer Sekte beschreibbar, deren Nährboden der moderne Antisemitismus des 19. Jahrhunderts war, meint Saul Friedländer. Ungewöhnlich ist allerdings, wie diese Sekte namens NSDAP zu einer modernen Partei wurde und sogar nach der Machtergreifung den ursprünglichen Fanatismus ("Erlösungsantisemitismus") beibehielt. Die Nazis befanden sich dabei stets im Zwiespalt zwischen reinem Judenhass und der Notwendigkeit taktischer Zurückhaltung gegenüber dem Ausland und der eigenen "arischen" Bevölkerung. Bis Kriegsbeginn 1939 war die spätere "Endlösung" offenbar keineswegs eine ausgemachte Sache, vielmehr standen Ausgrenzung, Entrechtung, Entzug der wirtschaftlichen Grundlage und Druck zur Emigration zunächst im Vordergrund. Die Bevölkerung, inklusive Kirchen und wissenschaftlicher Elite, akzeptierte dabei in der Mehrheit einfach die vom Regime unternommenen Schritte gegen die Juden und sah weg, wenn's brenzlig wurde. Dabei begrüßte sie durchaus die erstaunlichen Ausflüsse bürokratischer Korrektheit, wie z.B. die Nürnberger Gesetze, als Beitrag zur Rechtssicherheit und zur Konsolidierung der Beziehungen zwischen "Ariern" und Juden. Hoch interessant ist dabei das Verhalten der meisten Opfer, die, sonst an herkömmliche antijüdische Ausschreitungen gewöhnt, die Radikalität der neuen Machthaber offenbar nicht begreifen konnten und wollten. Es gab Unverständnis bei vielen Juden, die selber deutsch bis auf die Knochen waren und im vorangegangenen Weltkrieg ihren Blutzoll fürs Vaterland entrichtet hatten. Die Zionisten sahen hingegen in der NS-Politik auch Vorteile für die eigene Sache. Friedländers Verdienst ist eine historische Darstellung des Prä-Holocaust, in der die Täter sowie die sie umgebende Gesellschaft und die Welt der Opfer in einem einzigen Rahmen stehen. Äußerst lesenswert und zu weiterer Lektüre anregend. -Jürgen Grande
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