Ein Leben: Briefe und TagebücherHerman Melville
Gebundene Ausgabe
Im Jahr 1886 kam Herman Melville in den Friseurladen im US-amerikanischen Gansevoort und hängte seinen Seemannsmantel an die Garderobe. Es dauerte nicht lange, da gab dieser "überaus stattliche" Mann um die Siebzig "lustige Geschichten" aus der Südsee zum besten, wohin er als Jugendlicher zur See gefahren war. Ob es da auch Frauen gegeben hätte, wollte der Friseur neugierig wissen. Das wolle er meinen, entgegnete Melville: "'Zwei Jahre, nachdem ich die Insel an Bord eines Kriegsschiffs verlassen hatte, kam ich zurück, und das erste, was ich erblickte, war mein eigener, ungefähr eineinhalbjähriger Sprössling, der dort nackend auf dem sonnigen Strand herumtollte.' ?Woher wussten Sie, dass es ihr Sohn war?' fragte der Friseur. ?Er musste es sein', versetzte der Erzähler. ?Sein Bugspriet zeigte nach Backbord'." Jederzeit klug in der Auswahl und mit kundigen, durch zahlreiche Anekdoten angereicherte Einführungen zu den einzelnen Lebensabschnitten des großen Autors versehen erzählt Ein Leben die bewegte Biografie Melvilles an Hand von Briefen und Tagebucheinträgen in sieben nirgends ausufernden Kapiteln nach: angefangen von der harten Kindheit und Jugend des Autors und frühen Fahrten in die Südsee und erste schriftstellerische Erfolge über Reisen nach Paris, London und zum Rhein und erste dichterische Misserfolge (Moby Dick) bis hin zur Arbeit beim Zollamt in New York und dem Spätwerk mit seiner Lyrik, aus dem der Roman Billy Budd als erzählerisches Juwel um engelsgleiche Unschuld und teuflische Verstrickung deutlich herausragt. So entsteht nicht nur das Bild eines faszinierenden Autors, der es nicht immer mit der Wahrheit hielt und gern Seemannsgarn in seine biografischen Geschichten mit einfließen ließ, sondern auch das Bild einer Zeit, die einen ihrer bedeutendsten Schriftsteller so unglaublich blind verkannte. Herausragend und - wie bei anderen Bänden der Melville-Ausgabe des Hanser-Verlags, allen voran Moby-Dick - einmal mehr lobend herauszuheben ist auch hier die gelungene Neuübersetzung durch Werner Schmitz und den Herausgeber Daniel Göske, die nirgends beschönigend glättet, sondern den Texten Melvilles ihre am Meer und an der Seefahrt geschliffene Rauheit lässt. Wer mehr erfahren möchte über Melville und sein teils überaus trauriges Leben, der wird von diesem Band bestens bedient. -Stefan Kellerer
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