Zu einer anderen Zeit: Porträt der jüdisch-deutschen Epoche (1743-1933)Amos Elon
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Zu den größten Tragödien der Geschichte gehört es, dass ausgerechnet in dem Land, dessen Kultur den europäischen Juden über Jahrhunderte die liebste war, ihre Ausrottung beschlossen wurde. Ein Teufelswerk, das die kultur- und gottvergessenen Nazi-Barbaren nicht ganz, aber, zumindest was Deutschland betrifft, doch nahezu vollständig vollendet haben. Besonders sinnfällig wird die Tragik der Geschichte der Juden in Deutschland darin, dass ausgerechnet auch der deutsche Leutnant Hugo Guttmann Jude war, der im Ersten Weltkrieg dem Österreicher Adolf Hitler (gegen Widerstände im Divisionsstab) zum Eisernen Kreuz verhalf und ihm dieses auch noch eigenhändig ans Revers heftete. Guttmann war freilich nicht der Einzige, der sich über die Zukunft der Juden in ihrer deutschen Heimat und den Dank, den man ihnen selbst dereinst für ihren Einsatz abstatten würde, gründlich täuschte. Tatsächlich markierte der Erste Weltkrieg zugleich den Höhepunkt und das nahe Ende der Jahrhunderte währenden Assimilationsbewegung. Der in Wien geborene israelische Journalist Amos Elon erzählt in seinem neuen Buch anhand exemplarischer Biografien die Geschichte dieser Assimilation als eine einseitige und deshalb unglückliche Liebesgeschichte der Juden zu Deutschland - angefangen bei Moses Mendelsohn, der 1743 als 14-Jähriger von Dessau in einem sechstägigen Fußmarsch allein und mittellos aber voller Hoffnung nach Berlin übersiedelte, bis zu Hannah Arendt, die Deutschland 1933 enttäuscht verließ. Beinahe 200 Jahre also umspannt dieser biografisch-kulturhistorische Bericht, der nicht zuletzt deshalb lesenswert ist, weil er vorzüglich geschrieben ist (und von Matthias Fienbork ebenso vorzüglich übersetzt wurde). Zahlreiche bedeutende Gestalten der deutschen bzw. deutschsprachigen Geistes- und Kulturgeschichte begegnen uns hier: Albert Einstein, Heinrich Heine, Edmund Husserl, Franz Kafka, Gustav Mahler, Karl Marx, Franz Werfel, Stefan Zweig, um nur einige herauszugreifen. Religiös überzeugte Juden freilich waren die wenigsten. In gewisser Weise fragwürdig erscheint die von Elon getroffene Auswahl deshalb schon, die in der unbestreitbar guten Absicht erfolgt ist, zu zeigen, dass "die Geschichte der assimilierten Juden sehr viel mehr war als die Geschichte einer Tragöde - lange Zeit eben auch die Geschichte eines außerordentlichen Erfolgs". Gleichwohl gibt Elons Buch auch erneuten Anlass über eine andere These nachzudenken, der er bei seiner Auswahl zumindest auch gefolgt ist: dass nämlich ganz unabhängig von der jeweilig tatsächlichen religiösen Orientierung derjenige Jude sei, den andere als einen solchen ansehen. -Andreas Vierecke
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