Die geometrische RevolutionRichard Trudeau
Gebundene Ausgabe
"Die Erde dreht sich um sie Sonne." "Klar." "Atome sind teilbar." "Sicher." "Der Satz des Pythagoras gilt nicht, Dreiecke haben eine Winkelsumme kleiner als 180 Grad und Geraden können aufeinander zulaufen, ohne sich zu schneiden." "Unmöglich. Das stellt doch die ganze Geometrie auf den Kopf!" - wenn Sie so reagieren, sind Sie ein Kandidat für Richard Trudeaus Buch Die Geometrische Revolution: Denn die Konsequenzen der "neuen" (eigentlich gibt es sie schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts) nichteuklidischen Geometrie, die in der modernen Physik Erfolge feiert und von der Trudeaus Buch erzählt, erscheinen uns mit Lineal und Zirkel Aufgezogenen ähnlich verrückt, wie die Quantenmechanik einem klassischen Physiker vorgekommen sein muß. Dabei ist sie in sich vollkommen logisch aufgebaut. Aber wie erklärt man diese verrückte Geometrie, die dem Alltag zu widersprechen scheint? Trudeau schafft das Kunststück. Er führt den Leser behutsam und Schritt für Schritt auf die Reise von der althergebrachten euklidischen zur modernen "hyperbolischen Geometrie", zeigt, an welchen Stellen er die Augen einmal zudrücken muß - so daß ihm am Ende die genannten ungewöhnlichen Konsequenzen absolut "logisch" erscheinen. Dabei listet Trudeau nicht nur Theoreme und Beweise auf: Er erzählt, wieso Mathematiker sich eigentlich die Mühe machten, an der bewährten, alten Geometrie zu rütteln. Ausgangspunkt der über 2000 Jahre währenden Debatte, von der Trudeau berichtet, war nämlich das "ungute Gefühl", das einige Mathematiker wie zum Beispiel Saccheri, Legendre und Gauß mit einem zu sperrigen Postulat des "Geometrie-Erfinders" Euklid hatten. So ist die Geschichte der "nichteuklidischen Geometrie" auch die Geschichte der vergeblichen Versuche, dieses Postulat aus anderen Prämissen abzuleiten, um es schließlich in höchster Not einfach in sein Gegenteil zu verkehren - und so völlig überraschend das Tor zu einer neuen Sichtweise der Welt aufzustoßen. Diese "Story", von Trudeau ruhig und mit viel Gespür für geistreiche Unterhaltung aufgeschrieben und glasklar nachvollziehbar gemacht, liest sich an manchen Stellen wie ein guter Krimi. Dabei bleibt es nicht: Wie nebenbei erfährt der Leser auch einiges über das komplexe Räderwerk der Logik - und über den Begriff der "Wahrheit". Denn obwohl sich beide Denkmodelle doch in wesentlichen Punkten widersprechen, sind sie doch beide "wahr." Trudeau: "Das war eine berauschende Erfahrung; ich fühlte mich, als wäre ich an einen Aussichtspunkt versetzt worden, von dem aus ich die Grenzen des Verstandes sehen - wirklich sehen - konnte." Wer sich für die Erfolge, die man mit logischem, strukturiertem Denken feiern kann, interessiert, und wer zum Beispiel Gödel, Escher, Bach verschlungen hat, sollte sich von Trudeau auf die Reise zu diesem Aussichtspunkt mitnehmen lassen - um am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, wenn ein als selbstverständlich angenommenes Weltbild vor den eigenen Augen in Trümmer fällt. -Stefan Albus
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