Reise nach MarokkoHervé Guibert
Gebundene Ausgabe
Eine kleines, feines Dokument schwuler Autobiografie und Ethnografie. Der mittlerweile an A I D S verstorbene französische Autor Hervé Guibert hat sich in diesem Reisetagebuch mit dem großen Tabu der Pädophilie auseinander gesetzt. Bereits 1982 unter dem Originaltitel < I> Voyage avec deux enfants veröffentlicht, ist es nun in einer schönen Ausgabe endlich auch in deutscher Übersetzung erhältlich. Entgegen der zu erwartenden, sich bürgerlicher Normen beugenden Abwehr pädophiler Neigungen, kehrt Guibert sein Erkenntnisinteresse radikal um und fragt: Wird er die Kinder sexuell erregend finden? < P> Das auch stilistisch dreigeteilte Tagebuch beginnt in seinem ersten Teil mit einem Fantasie-Protokoll. Die Reise, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht stattgefunden hat, wird erahnt, erfühlt, ersehnt. Hier vor allem entfalten die erotischen Fantasien ihr volles Spektrum, denn es ist - wieder entgegen aller Standardisierung - das hässliche Kind, das er sich als Begehrensobjekt auswählt. Seine teilweise gewaltsamen, ins kannibalisch-erotische reichenden Tagträume finden im zweiten Teil ihre ernüchternde Realisierung. Das besuchte Land, das im Wunschtraum das schwül-lüsterne Szenario für die beabsichtigte Verführung stellte, entspricht genauso wenig den Erwartungen wie die beiden Jungs. Diese entpuppen sich als wahre Quälgeister, durchaus auch im sexuellen Sinne: Sie führen den Tagebuchschreiber an der Nase herum. Dieser muss erkennen, dass es sich bei der Reise um eine Selbstlüge gehandelt hat: " Scheißreise, Scheißkinder. " Im dritten Teil schließlich erfahren wir das Ausmaß der Lüge, denn die ganze Reise war eigentlich eine Flucht. Drohend wartet zu Hause die endgültige Trennung vom Partner. Die Realität fordert doppelten Tribut: Genau, wie sich die Reise samt ihres pädophilen Fantasmas als eine Lüge entlarvt, kann dem Verlust des eigentlichen Begehrens nicht entgangen werden. < P> Die zunächst irritierenden Stilbrüche, vor allem im Übergang vom ersten zum zweiten Teil, erweisen sich nachträglich als raffinierte Erzählabsicht: Wir folgen den poetisch-surrealen Träumen, lassen uns von den erotischen Wünschen selbst verführen, um dann umso brutaler auf dem Boden der Realität zu landen. Das Spiel von Fiktion und Fakten ist gerade deshalb so gelungen, weil sich hinter vordergründigem Tabubruch reale Trauer verbirgt. < I>-R J Poole
|
Bücher
hier kostenlos
